Verwaltungsgericht Frankfurt am Main

„40 Tage für das Leben“

Der Eilantrag gegen Beschränkungen der Versammlungsfreiheit vor der Pro-Familia-Beratungsstelle Frankfurt am Main ist rechtswidrig.

  

Nr. 09/2022

Mit dem heute in einem Eilverfahren zugestellten Beschluss hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main die von der Stadt Frankfurt am Main angeordneten örtlichen und zeitlichen Beschränkungen einer Versammlung in der Nähe der Beratungsstelle von Pro-Familia im Frankfurter Westend als rechtswidrig erachtet.

Unter dem 03.Januar 2022 meldete der Antragsteller eine 40-tägige Gebetswache „40 Tage für das Leben“ vom Aschermittwoch bis zum Palmsonntag 2022 an, die täglich von 12 bis 16 Uhr auf dem Fußgängerplateau in unmittelbarer Nähe zu der Beratungsstelle von Pro-Familia in der Palmengartenstraße 10-12 stattfinden sollte.

Mit der hier angefochtenen Verfügung vom 18. Februar 2022 wurde dem Antragsteller aufgegeben, nur außerhalb der Öffnungszeiten von Pro-Familia an dem gewünschten Ort die Versammlung abzuhalten. Während der Öffnungszeiten der Beratungsstelle sollte die Versammlung nur in weiterer Entfernung auf dem Gehweg der Bockenheimer Landstraße / Ecke Beethovenstraße durchgeführt werden.

Der Antragsteller wendet sich in dem Eilverfahren nur gegen die zeitliche und örtliche Beschränkung der Versammlung, weitere von der Stadt gemachte Auflagen werden von ihm nicht angegriffen.

Der Eilantrag hat Erfolg. Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main hat unter Bezugnahme auf ihr Urteil vom 12. Dezember 2021 (AZ: 5 K 403/21.F) -bezogen auf die Versammlungsauflagen im Jahr 2020 anlässlich der 40-tägigen Gebetswache - festgestellt, dass auch die jetzigen Beschränkungen der Versammlungsfreiheit durch die Stadt rechtswidrig seien.

Artikel 8 des Grundgesetzes sichere den Grundrechtsträgern zu, über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung selbst zu bestimmen. Durch die von der Stadtangeordneten zeitlichen und örtlichen Einschränkungen werde in dieses Grundrechteingegriffen. Das Gericht hält daran fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht – auch der schwangeren Frauen – keinen Konfrontationsschutz vor nicht gewünschten anderen Ansichten gewährleiste. Dies gelte auch für den sensiblen Tätigkeitsbereich seitens der von Pro-Familia wahrgenommenen Schwangerenberatung. Im Verwaltungsverfahren seien eidesstattliche Versicherungen von Mitarbeiterinnen von Pro-Familia und Stellungnahmen des Ortsverbandes von Pro-Familia im Rahmen einer Gesetzesberatung zu örtlich begrenzten Bannmeilen zum besseren Schutz der schwangeren Frauen herangezogen worden. Aus diesen Stellungnahmen werde ersichtlich, dass es sich im Wesentlichen nur um gefühlte Beeinträchtigungen handele. Diese Empfindungen stellten jedoch keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Eine ständige geistige Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Meinungen sei ein grundlegendes Element des demokratischen Gemeinwesens. Deshalb müsse ein „Kulturkampf“ wie der hier vorhandene hingenommen werden. Auch die von den schwangeren Frauen als Stigmatisierung und Anprangerung empfundene Situation könne nicht die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen.

Es falle auf, dass die Stadt anders als noch in ihrer ordnungsbehördlichen Verfügung vom 19. Februar 2020 unter der dortigen Ziffer 4 keine Untersagung von Belästigungs- oder Bedrängungshandlungen verfügt habe. Offensichtlich werde für „Gehsteigberatungen“ seitens der Antragsgegnerin nunmehr keine Regelungsnotwendigkeit mehr gesehen wird. Weitergehende Einschränkungen, wie das Einhalten eines Mindestabstands als Zeichen des Respekts und um eine bedrängende Wirkung auszuschließen, habe die Antragsgegnerin nicht verfügt.

Gegen den Beschluss kann innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichthof in Kassel eingelegt werden.
AZ: 5 L 512/22.F

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