Mit Urteil vom heutigen Tage hat die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Gießen der Klage eines durch Beschluss der CDU-Fraktion in der Gemeindevertretung Biebertal von dieser Fraktion ausgeschlossenen Mitglieds stattgegeben und festgestellt, dass die Fraktionsmitgliedschaft des Klägers durch den im Mai 2021 erfolgten Ausschluss nicht aufgelöst wurde und somit fortbesteht.
Der heute ergangenen Entscheidung ging bereits ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren voraus, in dem das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Mai 2021 (Az.: 8 L 1860/21.GI) der CDU-Fraktion aufgegeben hatte, den Kläger bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit allen Rechten und Pflichten eines Fraktionsmitglieds zur Fraktionsarbeit zuzulassen. Einen vom Kläger im Juli 2021 gestellten Antrag an die CDU-Fraktion, den Beschluss über den Ausschluss zurückzunehmen, lehnte die Fraktion ab. Im November 2021 reichte der Kläger daraufhin Klage ein.
Die beklagte CDU-Fraktion hatte den Ausschluss im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger im Wahlkampf abredewidrig Wahlplakate für sich selbst aufgehängt und eine Werbebroschüre für sich gedruckt habe, gegen die Beschlüsse der konstituierenden Sitzung der CDU-Fraktion vom 23. März 2021 wegen eines Ladungsfehlers Einspruch erhoben habe, obwohl die Beschlüsse in allseitiger Kenntnis und Einverständnis des Formfehlers gefasst worden seien, am 14. April 2021 bei dem Fraktionsvorsitzenden einer anderen Fraktion angerufen und mit diesem über einen Sitz im Gemeindevorstand beraten habe, was zu Irritationen bei einem Kooperationspartner der CDU-Fraktion geführt habe. Ferner habe sich der Kläger in der konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung zu Wort gemeldet und erklärt, dass die Liste der CDU-Fraktion für die Wahl des Gemeindevorstandes nicht rechtmäßig sei, und damit die demokratische Willensbildung der Fraktion delegitimiert. Aufgrund des Verhaltens des
Klägers sei das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört und einer weiteren Zusammenarbeit der Boden entzogen.
Nach Auffassung des Gerichts tragen die durch die Beklagte geltend gemachten Gründe den Fraktionsausschluss nicht. Mögliche mildere Mittel, wie etwa das Aussprechen einer Rüge, die Androhung des Fraktionsausschlusses oder ein zeitweiliger Fraktionsausschluss seien nicht in Betracht gezogen worden, obwohl der Ausschluss das letzte Sanktionsmittel gegenüber einem Fraktionsmitglied sein sollte. Zudem könnten Verhaltensweisen im Rahmen der Ausübung des freien Mandates des Gemeindevertreters für sich genommen einen Fraktionsausschluss nicht rechtfertigen. Gleiches gelte für die Inanspruchnahme von Rechtsmitteln gegen möglicherweise rechtswidrige Fraktionsbeschlüsse. Dass der Kläger in der konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung vorgebracht habe, er erachte die Liste für den Gemeindevorstand als rechtswidrig, überschreite die Ausübung des freien Mandats nicht, denn Gegenstand der Sitzung sei die Beratung und Abstimmung über diese Liste gewesen. Zudem habe der Kläger die Beklagte im Vorfeld auf verschiedene Weise, unter anderem durch Erhebung eines Einspruchs, auf seine Auffassung hingewiesen, so dass es sich nicht um ein vertrauensschädigendes, weil überraschendes Verhalten gehandelt habe.
Die Entscheidung (Urteil vom 8. November 2022, Az.: 8 K 3619/21) ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können binnen eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Entscheidungsgründe die Zulassung der Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel beantragen