Verwaltungsgericht Gießen

Eilanträge gegen räumliche Beschränkungen teilweise erfolgreich

Drei Eilanträge gegen räumliche Beschränkungen von vom 26. November bis 1. Dezember 2025 angezeigten Versammlungen sind teilweise erfolgreich.

Mit kürzlich ergangenen Beschlüssen hat die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Gießen drei Eilanträgen eines Antragstellers, die sich gegen durch die Stadt Gießen verfügte versammlungsrechtliche Beschränkungen gerichtet hatten, größtenteils stattgegeben.

Der Antragsteller meldete Anfang November 2025 anlässlich der in den Hessenhallen geplanten Neugründung der Jugendorganisation der „Alternative für Deutschland“ (AfD) insgesamt drei Kundgebungen zu dem Thema „772. Gießener Anarchietage - für eine Welt ohne Grenzen, ohne Patriarchat & ohne Rassismus, für demokratische Selbstorganisation und freie Vereinbarungen unter freien Menschen; gegen sog. Sozialpartnerschaften zwischen Gewerkschaften und Kapitalisten und gegen protofaschistische Tendenzen bei sogenannten Grünen, SPD, Union und der sogenannten AfD“ für den Zeitraum vom 26. November bis 1. Dezember 2025 bei der Stadt Gießen an. Eine Mahnwache (ca. 20 Teilnehmende) und ein Protestcamp (1.000 Teilnehmende) waren auf den Wiesen neben der Rodheimer Straße in der Gießener Weststadt sowie eine weitere Kundgabe (1.000 Teilnehmende) auf einem öffentlichen Parkplatz am Lehmweg, ebenfalls in der Gießener Weststadt, geplant.

Mit Bescheiden vom 24. November 2025 ordnete die Stadt Gießen u.a. die Festlegung und Beschränkung der Kundgebungsorte auf Orte auf der Ostseite der Lahn u.a. in der Gießener Innenstadt an. So wurde etwa die für den öffentlichen Parkplatz im Lehmweg geplante Kundgebung auf die Grünfläche Ostanlage Ecke Neuen Bäue in Gießen verlegt.

Zur Begründung führte die Stadt Gießen u.a. aus, dass die Veranstaltungsorte in bzw. angrenzend an einen polizeilich definierten Sicherheitsbereich sowie an zwingend freizuhaltenden Not- und Rettungswegen liegen würden. Zudem sei damit zu rechnen, dass Kundgebungsteilnehmende während kritischer Phasen eines Polizeieinsatzes versuchen würden, Richtung Veranstaltungsort der Jugendorganisation der AfD vorzustoßen oder Störaktionen zu starten. Dies stelle eine konkrete Gefährdung für den definierten Sicherheitsbereich, die Bewegungsfreiheit von Rettungs- und Sicherheitskräften, die Sicherheit der Teilnehmenden der Versammlungen aller Lager, insbesondere auch der Kundgebungsteilnehmenden, sowie die störungsfreie Durchführung der Versammlungen dar. Zudem verfügte die Stadt für die drei geplanten Kundgebungen jeweils ein Verbot von Schutzausrüstungs- und Vermummungsgegenständen und untersagte das Mitführen von Klettergeschirr, Klebstoffen, Sika Flex, Bitumen, Farben und Lacken. Ferner wurden eine Pflicht zur Stellung von einem Ordner je 50 Teilnehmenden und Beschränkungen zur von den Versammlungen abgestrahlten Lautstärke verfügt.

Hiergegen wendete sich der Antragsteller mit seinen Eilanträgen. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass an den geplanten Kundgebungsorten keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehe. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnehmenden der Kundgebungen versuchen würden, zum Veranstaltungsort der Jugendorganisation der AfD vorzustoßen.

Die 10. Kammer hat den Anträgen in Bezug auf die geplante Mahnwache und das geplante Protestcamp hinsichtlich der räumlichen Beschränkungen stattgegeben. Diese Veranstaltungen dürfen damit an den ursprünglich geplanten Orten in der Gießener Weststadt stattfinden. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass keine konkrete Sachlage bestehe, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge den Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lasse und daher bei ungehindertem Geschehensablauf zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führe. Der Ort der Mahnwache liege neben der Rodheimer Straße und nehme keine Straßenfläche in Anspruch. Dies sei in Anbetracht der erwarteten Teilnehmendenzahl von 20 Personen auch nicht wahrscheinlich. Belastbare Hinweise darauf, dass Teilnehmer der Mahnwache die Rodheimer Straße blockieren und auch für Einsatzfahrzeuge von Rettungskräften unpassierbar machen wollten, seien derzeit nicht ersichtlich. Auch das Protestcamp finde gerade nicht auf einer der wesentlichen Zubringerstraßen zu den Hessenhallen selbst statt. Nicht zu erwarten sei, dass Versammlungsteilnehmende auf solche Straßen würden ausweichen müssen. Bei der avisierten Fläche handele es sich um eine derart große Wiese, dass ein zwingend erforderlich werdendes Ausweichen der 1000 angemeldeten Versammlungsteilnehmenden auf die umliegenden Straßen dergestalt, dass diese für Rettungsfahrzeuge blockiert würden, nicht ersichtlich sei.Aus diesem Grund sei auch nicht zu befürchten, dass Versammlungsteilnehmende in den von der Stadt Gießen angeführten Sicherheitsbereich eindringen könnten, der sich gerade nicht auf der angemeldeten Wiese befinde.

Hinsichtlich der örtlichen Verlegung der Kundgebung, die ursprünglich auf dem Parkplatz im Lehmweg geplant war, lehnte die Kammer den Eilantrag des Antragstellers hingegen ab. Der von dem Antragsteller begehrte Versammlungsort befinde sich unmittelbar vor dem Messegelände, auf welchem die Veranstaltung der Jugendorganisation der AfD stattfinden solle. Ohne die Einrichtung einer dortigen Sicherheitszone durch Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte in unmittelbarer Veranstaltungsnähe, welche auch zum Ziel habe, Versammlungsteilnehmende gegenläufiger Veranstaltungen voneinander zu trennen, würde die unmittelbare Gefährdung der Gesundheit von Versammlungsteilnehmenden, sowohl der Protest- als auch der AfD-Veranstaltung drohen. Der Lehmweg sei einer der unmittelbaren Zuwege zu den Hessenhallen und müsse daher für den Fall eines nicht ausschließbaren Rettungseinsatzes in den Hessenhallen freigehalten werden, andernfalls drohe eine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben. Zwar sei die Kundgebung auf dem dortigen Parkplatz geplant. Aufgrund der erwarteten Anzahl von 1.000 Teilnehmenden und dem Umstand, dass der Parkplatz auch durch polizeiliche Einsatzfahrzeuge belegt sei, sei zu erwarten, dass Versammlungsteilnehmende auch auf den Lehmweg als solchen ausweichen müssten. Hinsichtlich zeitlicher Beschränkung der Kundgebungen am neu zugewiesenen Ort hatte der Antrag hingegen Erfolg.

Die festgesetzte Anzahl an Ordnern stufte die Kammer als nicht erforderlich ein und gab den Anträgen jeweils mit der Maßgabe statt, dass eine Ordnerin/ein Ordner je 50 Teilnehmenden zum Einsatz zu bringen ist. Hinsichtlich der Lautstärkeregelung gab die Kammer den Eilrechtsschutzanträgen jeweils mit der Maßgabe statt, dass bei allen Verstärkeranlagen für die Zeit bis 22:00 Uhr die abgestrahlte Lautstärke auf maximal 70 dB(A) (in den Geräuschspitzen max. 90 dB(A)) und ab 22:00 Uhr auf max. 55 dB(A) (in den Geräuschspitzen max. 65 dB(A)) beschränkt bleibt. Insoweit führte die Kammer aus, dass hierdurch Gesundheitsgefahren für unbeteiligte Dritter hinreichend verhindert werden könnten.

Die durch die Stadt Gießen für die Versammlungen verfügten Verbote von Schutzausrüstung und Vermummungsgegenständen wie etwa Gesichtsschutzmasken, Gasmasken, Schutzbrillen, Skibrillen, körperlichen Protektoren auch aus dem Sportbereich, Schutzbrillen (z. B. Schweißerbrillen), Ski-Brillen oder Ähnlichem sind nach Einschätzung der Kammer hingegen ebenso rechtmäßig wie die Verbote des Mitführens von Klettergeschirr, Klebstoffen, Sika Flex, Bitumen, Farben und Lacken. Diese Gegenstände bzw. Bekleidungsstücke seien insbesondere objektiv zum Schutz des Körpers bei kämpferischen Auseinandersetzungen oder zur Verhinderung der Feststellung der Identität bestimmt bzw. geeignet.

Die Entscheidungen (Beschlüsse vom 26. November 2025, Az.: 10 L 6688/25.GI und 10 L 6690/25.GI sowie Beschluss vom 27. November 2025, Az.: 10 L 6689/25.GI) sind noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen zwei Wochen Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen.

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