Nr. 10/2025
Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HBDI) muss mit aufsichtlichen Mitteln gegenüber der Wirtschaftsauskunftei Schufa Holding AG einschreiten, damit diese ihrer Auskunftspflicht gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nachkommt. Dies hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden mit Urteil vom 19.11.2025 entschieden.
Die Klägerin beantragte im Jahr 2018 einen Kredit, der abgelehnt wurde. Zuvor hatte die Schufa der betreffenden Bank einen Bonitätsscore von rund 86 % zur Klägerin übermittelt und ihren Fall als „deutlich erhöhtes bis hohes Risiko“ eingestuft. Die Klägerin begehrte daraufhin von der Schufa eine Erläuterung zum Zustandekommen des Scores und der Risikoeinschätzung.
Obwohl die Klägerin mehrere Antwortschreiben von der Schufa erhielt, erhob sie Beschwerde bei dem HBDI, in der sie rügte, dass die ihr von der Schufa erteilte Auskunft unzureichend sei, weil das Zustandekommen des Scores weiterhin nicht nachvollziehbar sei. Der HBDI lehnte ein aufsichtliches Einschreiten gegenüber der Schufa ab. Nach Auffassung des HBDI habe die Schufa die Fragen zur Berechnung des Scorewerts ausreichend und entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung beantwortet.
Da das in Rede stehende Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. h DSGVO nach Auffassung der Kammer davon abhängt, ob eine „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ im Sinne von Art. 22 Abs. 1 DSGVO vorliege, legte die Kammer das Verfahren zunächst dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung hinsichtlich der Auslegung von Art. 22 Abs. 1 DSGVO vor (vgl. Pressemitteilung des VG Wiesbaden Nr. 15/2021 vom 25.10.2021).
Der EuGH entschied mit Urteil vom 07.12.2023 (C-634/21), „dass eine ‚automatisierte Entscheidung im Einzelfall‘ im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn ein auf personenbezogene Daten zu einer Person gestützter Wahrscheinlichkeitswert in Bezug auf deren Fähigkeit zur Erfüllung künftiger Zahlungsverpflichtungen durch eine Wirtschaftsauskunftei automatisiert erstellt wird, sofern von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob ein Dritter, dem dieser Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, ein Vertragsverhältnis mit dieser Person begründet, durchführt oder beendet.“
Wie die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden nun entschied, handele es sich bei der Erstellung des Scorewerts, um eine ausschließlich auf einer „automatisierten Verarbeitung“ beruhenden Tätigkeit in diesem Sinne. Daher könne die Klägerin von der Schufa gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. h DSGVO „aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung“ verlangen.
Nach den vom EuGH mit Urteil vom 27.02.2025 (C-203/22) aufgestellten Grundsätzen, denen die Kammer folgte, bedeute dies, dass die relevanten Informationen in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form sowie in klarer und einfacher Sprache zur Verfügung gestellt werden müssten. Die Schufa sei zwar nicht zur Offenlegung ihres Algorithmus verpflichtet. Allerdings müsse sie das Verfahren und die Grundsätze, die sie konkret bei der Erstellung des Scorewerts verwendet habe, so beschreiben, dass man nachvollziehen könne, welche personenbezogenen Daten auf welche Art verwendet worden seien. Abstrakte oder allgemein gehaltene Informationen genügten insofern nicht. Erforderlich sei eine individualisierte Darlegung der Verfahren und Grundsätze, die bei der Erstellung des Bonitätsprofils konkret angewandt worden seien.
Nach Auffassung der Kammer genüge die von der Schufa der Klägerin erteilte Auskunft diesen Anforderungen nicht. Die Schufa habe ihre Auskunft daher nachzubessern. Hierzu hat die Kammer konkrete Vorgaben dazu gemacht, was der Klägerin noch von der Schufa mitzuteilen ist, nämlich:
- welche personenbezogenen Daten der Klägerin sie für die Erstellung des Scorewerts konkret genutzt hat und welche sie zwar erhoben, aber nicht verwertet hat,
- in welcher Gewichtung die Daten Eingang in die Berechnung des Scorewerts hatten und
- warum der im Falle der Klägerin errechnete Scorewert als „deutlich erhöhtes bis hohes Risiko“ bewertet worden ist.
Der HBDI sei insoweit verpflichtet, gegenüber der Schufa einzuschreiten. Welches aufsichtsrechtliche Mittel der HBDI dabei anwende, stehe aber in seinem Ermessen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Kammer hat die Berufung und die Sprungrevision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Berufung, über die der Hessische Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden hätte, kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils eingelegt werden. Innerhalb derselben Frist kann alternativ auch die Revision an das Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden, wenn der Rechtsmittelgegner der Einlegung der Sprungrevision zustimmt; die Berufungsinstanz würde dann übersprungen.
Aktenzeichen: 6 K 788/20.WI
Weitere Informationen
Die u. a. für das Datenschutzrecht zuständige 6. Kammer hat außerdem im Jahr 2025 mehrere Verfahren zur Erledigung gebracht, die zu Vorlagen an den EuGH mit Bezug zum Thema „Restschuldbefreiung“ geführt hatten:
In der Sache 6 K 1052/21.WI hatte der Kläger einen Anspruch auf Einschreiten des HBDI gegen die Schufa – die Beigeladene – geltend gemacht. Dem Kläger war mit Beschluss eines Amtsgerichts eine vorzeitige Restschuldbefreiung erteilt worden, die nach der Insolvenzbekanntmachungsverordnung für sechs Monate auf www.insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht wurde. Danach wurde die Bekanntmachung gelöscht. Die Beigeladene hingegen speicherte die Tatsache der Restschuldbefreiung nach ihren internen Maßgaben für drei Jahre. Der HBDI hatte keinen Grund für ein Einschreiten gegen die Schufa, die eine Löschung ablehnte, gesehen, weil diese ein berechtigtes Interesse an der Speicherung der Tatsache der Restschuldbefreiung habe. Hiergegen richtete sich die Klage. Auf den Vorlagebeschluss der 6. Kammer vom 31. Januar 2022 beantwortete der EuGH die Vorlagefragen mit Urteil vom 7. Dezember 2023 (C-64/22). Mit Beschluss vom 5. Mai 2025 stellte das Gericht das Verfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen der Beteiligten ein, wobei die Beigeladene die Kostenübernahme erklärte.
Das gleichgelagerte Verfahren 6 K 441/21.WI, in dem der EuGH unter dem Aktenzeichen C-26/22 die Vorlagefragen mit Urteil vom 7. Dezember 2023 beantwortete, hat das Gericht ebenfalls mit Beschluss vom 5. Mai 2025 bei Kostenübernahme durch die Beigeladene eingestellt.
Das gleichgelagerte Verfahren 6 K 219/20.WI, das die Kammer im Einverständnis der Beteiligten wegen der vorgenannten Vorabentscheidungsverfahren zum Ruhen gebracht hatte, hat die Kammer mit klageabweisendem Urteil vom 17. Juli 2025 entschieden. In diesem Verfahren urteilte die Kammer, dass nach Löschung der Tatsache der Restschuldbefreiung nach regulärem Ablauf der Löschfrist der Beigeladenen Erledigung eingetreten sei und kein anerkennenswertes Feststellungsinteresse des Klägers bestehe, auch nach Löschung noch über die Rechtmäßigkeit des Handelns des HBDI zu entscheiden. Eine das Feststellungsinteresse begründende Stigmatisierung des Klägers sei jedenfalls in dem Verzicht des HBDI auf Einschreiten gegen die Beigeladene nicht zu sehen.
Anhang
Art. 15 DSGVO – Auskunftsrecht der betroffenen Person
(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen:
[…]
h) das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und – zumindest in diesen Fällen – aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person.