Verwaltungsgericht Gießen

Verkehrswende in Gießen

Der Eilantrag gegen versammlungsrechtliche Auflagen für eine Veranstaltung zur Verkehrswende in Gießen ist erfolglos.

Mit Beschluss vom heutigen Tage hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Gießen den Eilantrag der Anmelderin der für Samstag, 19. Juni 2021 ab 16 Uhr bis Sonntag, 20. Juni 2021, 18 Uhr zwischen der Kreuzung Gießener Straße/Philosophenstraße und der Kreuzung Philosophenstraße/Ursulum geplanten Versammlung „Verkehrswende jetzt! Philosophenstraße zur Fahrradstraße und Wiesecker Fahrradstraßennetz“ abgelehnt.

Die Ordnungsbehörde der Stadt Gießen hatte zur Durchführung der Versammlung einen sogenannten Auflagenbescheid erlassen. Dieser sieht vor, dass die Versammlung sich am Samstag auf den Vorplatz des Bürgerhauses in Wieseck zu beschränken hat und sich nicht auf die Philosophenstraße ausweiten darf. Für Sonntag wird angeordnet, dass die Versammlung um 10 Uhr in der Philosophenstraße ab Ecke Gießener Straße bis Ecke Ursulum beginnt und spätestens um 18 Uhr an gleicher Stelle endet. Die Philosophenstraße zwischen Gießener Straße und dem Fahrradweg (zwischen Feuerwehrgerätehaus und Wieseck) müsse für den Fahrzeugverkehr befahrbar sein, um das Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr erreichen zu können. Insoweit beschränke sich die Versammlungsfläche auf den Gehweg und die Fahrbahn sei freizuhalten. Überdies sei während der gesamten Dauer der Versammlung eine Mund-Nasen-Bedeckung nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu tragen.

Gegen diese Auflagen hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht nachgesucht. Sie machte geltend, dass es sich bei der Philosophenstraße um eine untergeordnete Verbindungsstraße mit samstags und sonntags geringem Verkehr handele, die leicht umfahren werden könne. Die Erreichbarkeit des Gerätehauses der Freiwilligen Feuerwehr im Bereich der Philosophenstraße werde durch die Versammlung nicht gefährdet. Es sei vorgesehen, eine Straßenseite als Rettungsweg und Zufahrt zur Feuerwehr freizuhalten. Die Auflage führe hingegen dazu, dass die Versammlung am 19. Juni 2021 komplett und am 20. Juni 2021 zu großen Teilen im für Fußgänger vorgesehenen Bereich stattfinden müsse, was diesen für andere Nutzer letztlich sperre. Die Auflage zur Mund-Nasen-Bedeckung führe dazu, dass über die geltenden Corona-Vorschriften hinaus für den Aufenthalt im Freien strengere Maßnahmen vorgesehen seien. Bei einer Versammlung dürften jedoch nicht strengere Regeln als im Alltag gelten. Das Einhalten des Mindestabstandes sei ausreichend.

Die Stadt Gießen brachte demgegenüber vor, die Antragstellerin selbst habe angegeben, die Philosophenstraße jedenfalls am 19. Juni 2021 nicht für Aktionen nutzen zu wollen. Am 20. Juni 2021 könne die Antragstellerin den Bereich zwischen dem Fahrradweg und dem Gewerbegebiet Ursulum auf einer Länge von 650 m für ihre Versammlung nutzen. Auf diesem Abschnitt werde der Verkehr gesperrt. Lediglich auf einem Teilbereich von ca. 220 m Länge sei die Nutzung der Fahrbahn untersagt worden. Damit die Einsatzkräfte der Feuerwehr in privaten PKW gegebenenfalls anrücken könnten, müsse die Straße bis zum Fahrradweg befahrbar bleiben. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und die Einhaltung des Mindestabstandes seien hingegen keine Alternativen, sondern sich ergänzende Bestandteile eines einheitlichen Schutzkonzeptes.

Nach Auffassung des Gerichts begegnen die Auflagen keinen rechtlichen Bedenken. Zwar gewährleiste das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch das Recht des Veranstalters, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden solle. Dieses Recht werde jedoch durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt und die Auflagen der Stadt Gießen stellten in nicht zu beanstandender Weise einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Versammlungsfreiheit und dem Schutzgut von Leib und Leben von Menschen dar. Das Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr müsse jederzeit anfahrbar sein, um die Einsatzbereitschaft im Gefahrenfall sicherzustellen. Bei einer Sperrung der Straße sei mit Verzögerungen beim An- und Ausrücken der Feuerwehr zu rechnen. Trotz dieser Einschränkung könne die Antragstellerin die von ihr angemeldete Versammlung durchführen, und zwar in der von ihr gewünschten Form und insbesondere auch auf dem Großteil der von ihr als Versammlungsort angemeldeten Fläche. Schließlich sei auch die Auflage zur Mund-Nasen-Bedeckung nicht zu beanstanden, da trotz aktuell niedriger Inzidenzzahlen die potentielle Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus eine Gefährdung der Gesundheit von Versammlungsteilnehmern und unbeteiligten Dritten darstelle. Die Auflage sei geeignet, dieser Gefahr zu begegnen, und schränke die Antragstellerin nicht unverhältnismäßig in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein.

Die Entscheidung (Beschluss vom 17.06.2021, Az.: 4 L 2138/21.GI) ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen zwei Wochen Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen.

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